Verfasst von: Lama Christian | 14. Dezember 2009

Über das Nehmen von Einweihungen…

Oftmals taucht bei Praktizierenden des Buddhadharma – insbesondere bei jenen im Vajrayana – die Frage nach der Sinnhaftigkeit der vielen Übertragungen und unterschiedlichen Praktiken auf. Genügt nicht nur eine Praxis? Natürlich reicht EINE Praxis, doch diese EINE ist jene, die man eben wirklich praktiziert, verinnerlicht und auf diese Weise Sicht und Methode verwirklicht. Wieso gibt’s nun so viele und noch dazu unterschiedliche Übertragungen?

Die Drehungen des Dharma-Rades

Buddha Shakyamuni hat den Pfad zur Befreiung in 84.000 Lehren entsprechend der unterschiedlichen Fähigkeiten der fühlenden Wesen dargelegt. In der ersten Drehung des Lehrrades – dem Lehrzyklus über von den Vier Edlen Wahrheiten – erklärte er  im Rehpark von Sarnath die bedingte Existenz und ihren leidvollen (unzulänglichen) Charakter, die Ursachen dafür. Weiters zeigte Buddha Shakyamuni Möglichkeiten zum Beenden des Daseinskreislaufs sowie die Methoden dazu auf. In späteren Jahren drehte Buddha Shakyamuni ein weiteres Mal das Rad der Lehre. In diesem zweiten Lehrzyklus, der am Geierberg in Rajgir begann, legte er die Merkmalslosigkeit – die Leerheit aller Phänomene – dar. Dabei erklärte er die wahre Natur aller Erscheinungen. In einem dritten Lehrzyklus erklärte der Buddha in Shravasti die Buddha-Natur, die alle Wesen durchdringt.
Diese drei Lehrzyklen werden auch als 1) die Lehre von den Vier Edlen Wahrheiten, 2) die Lehre von der Merkmalslosigkeit aller Phänomene und 3) als die Lehre von der Unterscheidung bezeichnet. Im ersten Lehrzyklus erklärte der Buddha die bedingte Existenz und wie man individuellen Frieden und Glück erlangen kann. Der zweite Zyklus handelt von der Leerheit und der vollendeten Weisheit (Prajnaparamita), und erklärt die Unterschiedslosigkeit zwischen ich und anderen. In der dritten Lehrdarlegung legte der Buddha die Klare-Licht-Natur des Geistes dar und zeigte Wege auf, in einem Leben vollständige Buddhaschaft zum Wohle aller Wesen zu erlangen.

Ursache und Resultat

Die vielen Lehren lassen sich auch in zwei Fahrzeuge, 1) dem Ursachen-Merkmals-Fahrzeug und 2) dem Ergebnis-Fahrzeug einteilen. Das erste wird Sutrayana, das zweite Tantrayana genannt.
Das Sutrayana ist der exoterische – der äußere – Pfad des Dharma. Das zweite Fahrzeug, das Tantrayana oder das Fahrzeug des Geheimen Mantra, ist der esoterische – der innere – Pfad des Dharma. Gerade bei dem inneren Pfad benötigt man eine Einführung in diese Methode. Dies erfolgt durch das Ritual der Einweihung.

Ermächtigung

Eine Einweihung ist im Vajrayana nicht ein „Ritterschlag“ oder eine Erlaubnis, sondern vielmehr eine Ermächtigung (tib., dbang = Macht, Kraft) zum Verständnis der Natur des Geistes. Gemäß dem Vajrayana gibt es vier Tantra-Klassen, die alle auf unterschiedliche Weise einem dieses Verständnis nahebringen.
Dabei gibt es Ermächtigungen und Praktiken, die zwar mit den subtilen und feinstofflichen Kräften arbeiten, doch eine Verschmelzung noch nicht betonen. Einweihungstufen des Yoga-Tantra und des Annuttara-Tantra führen in die Sicht und Praxis der Untrennbarkeit allen Seins ein. Daher sind sie auch besonders schnelle Fahrzeuge zur Buddhaschaft. Die rasche Realisation liegt in der Intensität der Reinigung von der verschleierten Sicht der vier Kayas (Körper, Bereiche). Durch eine Einweihung werden die vorübergehenden Makel gereinigt und in Buddha-Geist, Buddha-Rede und Buddha-Körper verwandelt. Das allumfassende Mitgefühl eines eines Buddhas ist der natürliche Ausdruck des Dharmakaya (Wahrheitskörper), und dies zeigt sich in den beiden Formkörper von Sambhogakaya (Wonnekörper) und Nirmanakaya (Erscheinungskörper).
Bei den vielfältigen Einweihungen im Tantrayana werden die Prozesse der Geburt, des Verweilens und des Sterbens gereinigt. Diese drei Vorgänge sind mit dem Nirmanakaya, dem Sambhogakaya und dem Dharmakaya eines Buddhas entsprechend. Gerade durch verschiedene Einweihungen kommt man mit den unterschiedlichen Erscheinungsformen von Buddha-Geist, -Rede und –Körper in Berührung. Die Frage nach der EINEN Praxis relativiert sich rasch dahingehend, dass ein Buddha in unzähligen Formgestalten erscheint und zum Wohle aller fühlenden Wesen wirkt. Jede Meditationsgottheit stellt so eine erwachte Form bereit. Gerade daher ist es sinnvoll den Segen einer Einweihung zu erhalten. Die Möglichkeiten einer Praxis der jeweils erhaltenen Übertragungen hängen natürlich immer von den individuellen vorhandenen Möglichkeiten ab. Durch eine Einweihung mit Textübertragung und Praxiserklärung werden Segen und Verständnis vertieft. Positive und verdienstvolle karmische Samen sind gelegt, die es einem in Zukunft ermöglichen, diese Methoden weise zum Wohle aller anzuwenden.
Die Methode des Geheimen Mantrapfades (Vajrayana) stützt sich auf zwei Aspekte. Die Ermächtigung ist das, was zur Reifung führt und die Kernunterweisungen bzw. deren Anwendung führen zur Befreiung. Interessant ist das Verständnis einer Einweihungsstruktur, da mit diesen die vorgeburtlichen, die geburtliche, die frühkindlichen Prägungen, die Fixierungen des Lebens sowie jene Prägungen des Sterbens geklärt und in reine, erwachte Aspekte transformiert werden.
In einer großen Ermächtigung bittet man den Lehrer, der untrennbar von der ursprünglichen Natur des Geistes ist, die Einweihung zu geben. Durch die verschiedenen Abschnitte der Ermächtigung wird der Geistesstrom dann von den temporären Verschleierungen gereinigt.
In einer großen Einweihung, also keiner Segenseinweihung nur, wird durch die Vorbereitungen zunächst das Bardo-Bewusstsein in der Vereinigung von Vater- und Mutteressenz (weißem und rotem Tropfen) gereinigt. Hier werden die bisherigen karmischen Schleier gereinigt. Die Phase der Geburt bis hin zur Namensgebung wird durch die Vasen-Ermächtigung gereinigt. Diese Vasen-Ermächtigung hat fünf Abschnitte und klärt die Verschleierungen der fünf Erlebnishaufen (Aggregate, sanskr. Skandha) und verwandelt diese in die fünf Buddha-Familien bzw. ihre Weisheiten. Die Vasen-Einweihung wird mit den Symbolen Wasser, Krone, Seidenschal (oder Vajra), Vajra & Glocke sowie Vajra & Glocke-gekreuzt abfolgend durchgeführt.
Die weiteren Abschnitte einer großen Einweihung sind die Geheime Ermächtigung, die Weisheits-Bewusstheits-Ermächtigung und die Wort-Ermächtigung. Diese orientieren sich ebenfalls am Lebenslauf. Die Geheime Ermächtigung reinigt die Prägungen von der Zeit des Heranwachsens bis hin zur Partnersuche. Die Weisheits-Bewusstheits-Ermächtigung reinigt jene Prägungen, die in der Phase des Zusammenlebens mit all ihren Freuden entstanden sind. Und durch die Wort-Ermächtigung erfolgt eine Einführung in die Urnatur des Geistes und dies reinigt die Phase des Sterbens. Wie man erkennen kann erfolgt durch eine solche Einweihung ein Reinigung sämtlicher karmischer Verschleierungen im kompletten Ablauf von Bardo, Zeugung, Geburt, Heranwachsen, Erwachsenenalter, Sterben und wieder Bardo (anfanglos)…
Schon allein an diesem Ablauf kann man sehen, dass es sinnvoll ist, JEDE Einweihung zu erhalten. Durch das oftmalige Erhalten einer Ermächtigung (auch wenn man diesen Aspekt schon x-mal hatte) wird das Verständnis der Natur des Geistes in seiner Entstehung, seiner Aktivität und seiner Auflösung vertieft. Was man dann allerdings individuell praktiziert, orientiert sich mehr an der jeweiligen Kapazität (Verständnis, Zeit etc.). Was man in der Gemeinschaft praktiziert, wird sich ebenfalls nach den Möglichkeiten der Sangha richten und soll dennoch dem Vertiefen des Verständnisses von Geistnatur und Bodhicitta dienen.

In den folgenden Blogs werde ich über das Zusammenwirken des Geistes und den subtilen Kanälen, inneren Energien sowie den Prozessen von Sterben, Übergang und Werden berichten. Wenn euch diese Themen interessieren, abonniert diesen Blog.


Antworten

  1. Eine sehr klare Er-klärung, danke .
    liebe Grüße, Miljenka


Kategorien